2003-02-05 - 21:23 - Von Gummi, L�usen und b�sen Geistern

Ich bin k�rzlich zum ersten Mal seit langem wieder den Weg zu meiner alten Grundschule entlanggelaufen. Und obwohl mir nat�rlich bekannt ist, wie ungemein subjektiv Wahrnehmung ist, war ich erstaunt dar�ber, wie wenig der Weg heute noch mit dem in meiner Erinnerung gemeinsam hat.

Dabei hat sich rein �u�erlich kaum etwas ver�ndert. Einige H�user sind modernisiert worden, am Stra�enbelag hingegen scheint seit meiner Geburt nichts mehr getan worden zu sein. Kein Wunder, da� ich mich auf afrikanischen Schlaglochpisten immer ziemlich wohl gef�hlt habe.

Aber ich habe mich nat�rlich sehr ver�ndert und damit auch meine ganz eigene Welt. Das gef�hrlich bunt gef�rbte Wassereis f�r 10 Pfennig, von dessen Konsum mich fr�her auch m�tterliche Ermahnungen nie h�tten abhalten k�nnen, �bt heute absolut keinen Reiz mehr auf mich aus. Der Kiosk (oder wie man hier sagt: die Bude), damals gr��te Versuchung auf dem Heimweg, dient heute eher als Zeitungslieferant.

Zusammen mit dem giftgr�nen Waldmeister-Wassereis scheinen auch die diversen Gefahren und b�sen Geister verschwunden zu sein, die hinter jeder Hecke lauerten und den Heimweg oft genug in einen hektischen Dauerlauf verwandelten.

Der b�se alte Mann in der zerrissenen Kleidung, der stets seinen riesigen Sch�ferhund auf angsterf�llte Schulkinder zu hetzen drohte, liegt vermutlich ebenso wie das schwarze Ungeheuer l�ngst unter der Erde. Heute mu� man nicht erst hinter der Ecke lauern, um dann in einem unbemerkten Augenblick an seiner Garage vorbeizuschleichen.

Auf den alten Schienen fahren schon seit Jahren keine G�terz�ge mehr. All die sp�tsommerlichen Mutproben in Form langer Gleisspazierg�nge fallen weg. Ebenso wenig werden wohl heute noch Kinderohren aufgeregt auf die Schienen gepre�t, um Wetten �ber das Eintreffen des n�chsten Zuges abzuschlie�en.

Der alte Hof an den Gleisen ist l�ngst renoviert, und heute wohnen dort sicherlich keine Sozialf�lle mehr, deren Hauptbesch�ftigung w�hrend der Schulzeit das Verbreiten von L�usen ist. (Leider waren wir immer die ersten, die in den zweifelhaften Genu� des munteren Kopfzirkus kamen, da meine Mutter schon damals ein gro�es Herz f�r underdogs hatte. Diverse L�usebunker wurden mittags bei uns verpflegt und bekamen eine Haupthaarsanierung mit dem Ergebnis, da� der Rest unserer Familie anschlie�end f�r Tage in Quarant�ne gesteckt wurde.)

Der kleine Park, in dem eine Schulfreundin mit neun Jahren nur knapp einer Vergewaltigung entging, ist zu einer traurigen Baumgruppe geschrumpft. Vermutlich war das Fleckchen damals schon kaum gr��er, erschien uns aber ungemein gef�hrlich und durfte nur im Laufschritt passiert werden.

Die n�chste Generation an �berm�tigen kleinen Jungs, die M�dchen an den Haaren ziehen und auf dem Heimweg mit Schimpfw�rtern �berh�ufen ("Puffprinzessin" war der Renner meiner Kindheit, auch wenn keiner so wirklich wu�te, was das war, aber es war auf jeden Fall ein verbotenes Wort), ist aus heutiger Sicht eher putzig als erschreckend.

Die heutigen kleinen Jungs sind vermutlich bereits die Kinder unserer ehemaligen Nachbarn, deren Nachnamen prinzipiell auf -ski endeten, und mit denen wir abwechselnd gespielt und heftig gestritten haben. H�hepunkt der Auseinandersetzung waren regelm��ig Attacken mit Eiern und Tomaten, die auf gar keinen Fall elterlichen Aufsichtspersonen zu Ohren kommen durften.

Und Gummi, der den Namen fr�h aufgrund seiner rundlichen Figur erhalten hat und heute noch in Ehren h�lt, der Besch�tzer meiner Kindergartentage und zugleich erste Junge, der mir je einen Heiratsantrag gemacht hat (wir waren grad vier Jahre alt und schwer verliebt), dieser Gummi wird morgen mein Auto reparieren, genau so, wie es schon sein Vater mit dem Wagen meines Vaters getan hat.

Herrje, es schneeregnet, ich bin m�de und h�tte wohl besser keinen Rotwein mehr trinken sollen. Melancholie in allen Ehren, aber allm�hlich klinge ich wie eine Siebzigj�hrige auf dem Sterbebett. Egal, f�r die Geister der Erwachsenenwelt ist morgen noch genug Zeit, �ber Nacht verschwinden werden sie wohl kaum.

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Von Gummi, L�usen und b�sen Geistern 2003-02-05 21:23 Ich bin k�rzlich zum ersten Mal seit langem wieder den Weg zu meiner alten Grundschule entlanggelaufen. Und obwohl mir nat�rlich bekannt ist, wie ungemein subjektiv Wahrnehmung ist, war ich erstaunt dar�ber, wie wenig der Weg heute noch mit dem in meiner Erinnerung gemeinsam hat.

Dabei hat sich rein �u�erlich kaum etwas ver�ndert. Einige H�user sind modernisiert worden, am Stra�enbelag hingegen scheint seit meiner Geburt nichts mehr getan worden zu sein. Kein Wunder, da� ich mich auf afrikanischen Schlaglochpisten immer ziemlich wohl gef�hlt habe.

Aber ich habe mich nat�rlich sehr ver�ndert und damit auch meine ganz eigene Welt. Das gef�hrlich bunt gef�rbte Wassereis f�r 10 Pfennig, von dessen Konsum mich fr�her auch m�tterliche Ermahnungen nie h�tten abhalten k�nnen, �bt heute absolut keinen Reiz mehr auf mich aus. Der Kiosk (oder wie man hier sagt: die Bude), damals gr��te Versuchung auf dem Heimweg, dient heute eher als Zeitungslieferant.

Zusammen mit dem giftgr�nen Waldmeister-Wassereis scheinen auch die diversen Gefahren und b�sen Geister verschwunden zu sein, die hinter jeder Hecke lauerten und den Heimweg oft genug in einen hektischen Dauerlauf verwandelten.

Der b�se alte Mann in der zerrissenen Kleidung, der stets seinen riesigen Sch�ferhund auf angsterf�llte Schulkinder zu hetzen drohte, liegt vermutlich ebenso wie das schwarze Ungeheuer l�ngst unter der Erde. Heute mu� man nicht erst hinter der Ecke lauern, um dann in einem unbemerkten Augenblick an seiner Garage vorbeizuschleichen.

Auf den alten Schienen fahren schon seit Jahren keine G�terz�ge mehr. All die sp�tsommerlichen Mutproben in Form langer Gleisspazierg�nge fallen weg. Ebenso wenig werden wohl heute noch Kinderohren aufgeregt auf die Schienen gepre�t, um Wetten �ber das Eintreffen des n�chsten Zuges abzuschlie�en.

Der alte Hof an den Gleisen ist l�ngst renoviert, und heute wohnen dort sicherlich keine Sozialf�lle mehr, deren Hauptbesch�ftigung w�hrend der Schulzeit das Verbreiten von L�usen ist. (Leider waren wir immer die ersten, die in den zweifelhaften Genu� des munteren Kopfzirkus kamen, da meine Mutter schon damals ein gro�es Herz f�r underdogs hatte. Diverse L�usebunker wurden mittags bei uns verpflegt und bekamen eine Haupthaarsanierung mit dem Ergebnis, da� der Rest unserer Familie anschlie�end f�r Tage in Quarant�ne gesteckt wurde.)

Der kleine Park, in dem eine Schulfreundin mit neun Jahren nur knapp einer Vergewaltigung entging, ist zu einer traurigen Baumgruppe geschrumpft. Vermutlich war das Fleckchen damals schon kaum gr��er, erschien uns aber ungemein gef�hrlich und durfte nur im Laufschritt passiert werden.

Die n�chste Generation an �berm�tigen kleinen Jungs, die M�dchen an den Haaren ziehen und auf dem Heimweg mit Schimpfw�rtern �berh�ufen ("Puffprinzessin" war der Renner meiner Kindheit, auch wenn keiner so wirklich wu�te, was das war, aber es war auf jeden Fall ein verbotenes Wort), ist aus heutiger Sicht eher putzig als erschreckend.

Die heutigen kleinen Jungs sind vermutlich bereits die Kinder unserer ehemaligen Nachbarn, deren Nachnamen prinzipiell auf -ski endeten, und mit denen wir abwechselnd gespielt und heftig gestritten haben. H�hepunkt der Auseinandersetzung waren regelm��ig Attacken mit Eiern und Tomaten, die auf gar keinen Fall elterlichen Aufsichtspersonen zu Ohren kommen durften.

Und Gummi, der den Namen fr�h aufgrund seiner rundlichen Figur erhalten hat und heute noch in Ehren h�lt, der Besch�tzer meiner Kindergartentage und zugleich erste Junge, der mir je einen Heiratsantrag gemacht hat (wir waren grad vier Jahre alt und schwer verliebt), dieser Gummi wird morgen mein Auto reparieren, genau so, wie es schon sein Vater mit dem Wagen meines Vaters getan hat.

Herrje, es schneeregnet, ich bin m�de und h�tte wohl besser keinen Rotwein mehr trinken sollen. Melancholie in allen Ehren, aber allm�hlich klinge ich wie eine Siebzigj�hrige auf dem Sterbebett. Egal, f�r die Geister der Erwachsenenwelt ist morgen noch genug Zeit, �ber Nacht verschwinden werden sie wohl kaum.