Lyssas Lounge - country style

2003-10-01 - 15:36 - Bekenntnisse einer S�chtigen

Ich bin drogens�chtig. Nein, nicht nach allen m�glichen Substanzen die sich in den Anlagen zum BtMG finden lassen. Und mich w�rde auch keine der �blichen Entzugskliniken aufnehmen. Die meisten Eltern w�ren sogar dankbar, wenn ich ihre Kinder anfixen w�rde. Und es gibt nicht einen Kultusminister, der nicht glaubt, mit dieser Sucht die L�sung vieler seiner Probleme gefunden zu haben.

Ich bin s�chtig nach B�chern, nach Lesestoff allgemein. Ich kann nicht mal an trashigen kostenlosen Magazinen vorbeigehen, ohne zuvor mindestens einen kurzen Blick reingeworfen zu haben. Fr�her war das noch schlimmer, da mu�te ich auch alles mitnehmen, was an Lesbarem irgendwo rumlag. Kerstin kann das best�tigen, ich habe sie damit in den ersten Semestern regelm��ig in den Wahnsinn getrieben.

Meine eigentliche Lieblingsdroge aber sind B�cher. Nat�rlich nicht alle B�cher, manche haben auch den Rauscheffekt einer Baldrianpille aus dem Reformhaus. Andere wiederum versetzen mich nicht in einen Rausch, sondern befriedigen mich, indem sie mein Gehirn mit gro�artigen Satzperlen oder einzelnen W�rtern versorgen, die so sch�n sind, da� ich sie speichern mu�, um sie immer wieder hervorzukramen, zu drehen, sie von allen Seiten zu betrachten und ihre Perfektion zu bewundern.

Das ist ja alles nicht weiter gef�hrlich, mag man denken. Aber es gibt auch B�cher, die bringen mich dem, was ich mir immer unter einem Rausch vorgestellt habe, wesentlich n�her als alle anderen Substanzen das bislang konnten - und mit allen g�ngigen negativen Effekten. Und ich nutze diese B�cher so wie andere Menschen eben die Droge ihrer Wahl gebrauchen. Ich katapultiere mich gezielt aus meinem Leben und vermeide damit auch f�r einige Zeit alle meine Sorgen und Probleme.

Mit dem richtigen Buch in der Hand kann ich meine Umwelt stunden- oder gar tagelang vergessen. Ich mu� nicht duschen, schlafen oder essen. Ich kann auf Sozialkontakte prima verzichten. Sie sind mir in solchen Phasen sogar eher l�stig. Das Telefon klingelt? Hey, wozu habe ich einen AB? Ich hatte XY versprochen, heute noch zur�ckzurufen? Well, tough shit. Ich habe Wichtigeres zu tun - und bin ohnehin in ganz anderen Welten.

Ich kann auf in Zeiten knapper Kasse auf Partys und Restaurantbesuche verzichten, ich w�rde mich nie f�r M�bel, Auto oder Kleidung verschulden. Aber f�r eine neue Lieferung meines Dealers w�rde ich mein Konto sofort �berziehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich werde nerv�s, wenn ich nicht irgendwo noch einen Stapel ungelesener B�cher habe, unter denen sich auch mindestens eines befindet, von dem ich zuverl�ssig wei�, da� es als Droge funktionieren wird.

Und ich f�rchte mich vor dem Moment, an dem ich den letzten Satz gelesen habe und in meine eigene Welt zur�ckkehren mu�. So eine R�ckkehr dauert und ist anstrengend. Schlie�lich l��t man liebgewonnene Protagonisten nur ungern zur�ck und mu� sich au�erdem erst langsam wieder mit den eigenen Unzul�nglichkeiten und wartenden Problemen arrangieren.

Nat�rlich ist jeder Rausch anders, und es gibt auch echte bad trips darunter. B�cher, die mich zutiefst verst�rt und deprimiert zur�cklassen, die einen schlechten Geschmack hinterlassen, den ich tagelang nicht so richtig loswerden kann, einen dunklen Schatten, der sich einfach nicht absch�tteln l��t. Aber das Risiko mu� man eingehen.

Und der gute, der perfekte Rausch ist dieses Risiko wert. Der Rausch, der mit Gr��enwahn einhergeht, mit dem Gef�hl, endlich verstanden zu haben, wie der Mensch, die Welt und man selbst funktioniert. Das Gef�hl, alles tun und alles schaffen zu k�nnen. Pl�tzlich vor Energie fast zu platzen. Solche B�cher gibt es auch, nach deren Lekt�re man vorsichtig den R�cken abtastet, um zu checken, ob nicht doch Fl�gel gewachsen sind. Oder man blickt in den Spiegel und ist sich sicher, jetzt irgendwie anders, strahlender auszusehen.

Ich werde nie verstehen, warum so viele Menschen absolut resistent gegen diese Sucht zu sein scheinen. Und ich bezweifle sehr, da� meine Eltern wirklich wu�ten, was sie taten, als sie mir die ersten B�cher schenkten. Oder da� meine Oma das wu�te, als sie mir das Lesen beibrachte.

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