2002-11-24 - 22:30 - Stammeskrieger mit Wasserwerfern

Man sollte seine Worte wirklich mit Bedacht w�hlen. Ich habe offensichtlich in meinem letzten Eintrag etwas leichtsinnig von einem durch Filmcrews verursachten Belagerungszustand hier in meiner Gegend gesprochen. Seit Freitag abend wei� ich, welche Ausma�e eine solche Belagerung wirklich annehmen kann.

Da n�mlich stie� ich bei einem sp�ten Spaziergang nicht auf ein paar gelangweilte Kameraleute, sondern gleich auf mehrere Wasserwerfer, einen R�umpanzer, zahllose gepanzerte Polizei-Einheiten aus verschiedenen Bundesl�ndern nebst Unterst�tzung vom BGS - also so ziemlich das Letzte, was man in meiner �u�erst ruhigen, gediegenen Nachbarschaft erwarten w�rde. Entsprechend unintelligent sicherlich auch mein Gesichtsausdruck ...

Die gesamte Szenerie wirkte vor allem deshalb so skurril, da sich die Ursache dieses staatsgewaltigen Aufmarsches auf den ersten Blick gar nicht ermitteln lie�. Es schien so, als w�rden die Polizisten einfach nur die regnerische, neblig-tr�be Hamburger Nacht oder allenfalls noch ein paar �ltere Herren bewachen, die ihre Terrier Gassi f�hrten. Viel L�rm um nichts?

Nein, sie bewachten das "Wollenberg", in dem neben Michael Ammer und Busenfreund Bohlen auch unser zu Peinlichkeiten neigende Innensenator Ronald "Gnadenlos" Schill zu feiern pflegt. Ein Haufen "langhaariger Steinewerfer und Bombenleger" (so meine Mutter �ber meine Jugendfreunde ... damals) hatte n�mlich angedroht, dort gegen die R�umung des Bauwagenplatzes "Bambule" zu demonstrieren, nachdem die Krawalle inklusive brennender Stra�enbarrikaden im Schanzenviertel am Wochenende zuvor erfolglos geblieben waren.

Von den gef�rchteten Autonomen war allerdings zun�chst nichts zu sehen. Die waren inzwischen offensichtlich zum Dammtor-Bahnhof weitergezogen. Und nat�rlich mu�te ich, von uners�ttlicher Neugier getrieben und stets um interessante Geschichten f�r Euch bem�ht, mich auch gleich auf den Weg dorthin machen.

Am Bahnhof herrschte dann tats�chlich eine Art Ausnahmezustand. Etwa 600 Demonstranten hatten sich hinter einem Lautsprecherwagen versammelt (den Altlinken unter Euch vermutlich besser bekannt als "Lauti"). Auf jeden Demonstranten kamen etwa 2,2 Polizisten in voller Schutzmontur (ein Freudenfest f�r Uniformfetischisten), welche die laut "Schill mu� weg" Skandierenden mi�trauisch be�ugten.

Acht Wasserwerfer und zwei Panzerr�umfahrzeuge riegelten zudem die gesamte Gegend systematisch ab, auf da� auch ja niemand in die Seitenstra�en entweichen und Unfrieden im Diplomatenviertel stiften m�ge. McDonalds hatte vorsorglich die T�ren verrammelt, und die Uniformierten lie�en nur noch gesittet aussehende, offensichtlich irritierte Passanten den Bahnhof betreten.

Nach einiger Diskussion einigten sich die Parteien offensichtlich, den Zug in Richtung Schanzenviertel fortzusetzen. Allen voran marschierte die Polizei, danach folgten die Demonstranten wieder mit Lautsprecherwagen, an den Seiten ebenfalls von Polizisten bewacht, die drohend mit Schlagst�cken auf unschuldige Laternenmasten trommelten. Die Nachhut bildete noch mehr Polizei, die aus diversen n�rdlichen Bundesl�ndern zusammengeliehen werden mu�te.

Die Wasserwerfer r�ckten �ber Seitenstra�en ab, um den Tro� dann p�nktlich an der n�chsten Kreuzung wieder mit Flutlicht empfangen zu k�nnen. Ein wirklich beeindruckendes n�chtliches Szenario, das aber trotz des realistischen Nieselregens und der gef�hlsecht klammen Kleidung mehr wie eine Szene eines David-Lynch-Films auf mich wirkte.

Die Route f�hrte unter anderem am Dorint Hotel vorbei, in dessen Erdgescho� sich eine Bar befindet. W�hrend also drau�en der Aufruhr geprobt wurde, sa�en drinnen erfolgreiche Mittvierzieger in runden Lounge-Sesseln im 70er-Jahre-Design, schl�rften Cocktails und beobachteten teils am�siert, teils ver�chtliche kopfsch�ttelnd das Spektakel.

Doch der Zoo-Effekt lie� sich noch steigern. N�chste Sehensw�rdigkeit entlang unserer Route war die "Nobel Bar", ein Bordell in Messen�he, mitten in einer Wohngegend. Die Damen des Hauses sa�en, streng bewacht von einem Klischee-Kerl mit Kleiderschrank-Ma�en, in leicht bekleidetem Zustand der Witterung trotzend auf den Stufen und begutachteten neugierig den Umzug. Es lie� sich nicht so leicht ermitteln, wer hier wen interessierter be�ugte.

Und an jeder gro�en Kreuzung warteten schon wieder die Wasserwerfer, und tauchten die Vorbeiziehenden in ein glei�endes Licht. Im Schanzenviertel war dann endg�ltig Schlu�. Die Schanzenstra�e war auf einer Seite durch besagte Wasserwerfer gesperrt, die Demonstrierenden marschierten hinter ihrem "Lauti" auf, und dann wurde das andere Ende der Stra�e von dichtgepackten Reihen der Polizei abgeriegelt.

Die Bambule-Anh�nger riefen weiter diverse Slogans, w�hrend die Polizisten rhythmisch mit Schlagst�cken auf ihre Schutzschilde einschlugen. Die Szene wirkte zunehmend bedrohlich, der allgemeine Adrenalinspiegel stieg bedenklich an, und ich sah mich zum ersten Mal nach einer unauff�lligen R�ckzugsm�glichkeit um.

Gelebte Demokratie in Form von n�chtlichen Auseinandersetzungen im str�menden Regen ist ganz offensichtlich nicht so wirklich mein Ding (schon gar nicht in dieser konkreten Angelegenheit). Dann doch lieber zur�ck an den Schreibtisch, zur Teekanne und zur beheizten Wahlkabine.

Aus der n�tigen Distanz betrachtet, hat die ganze Angelegenheit aber auch eine �beraus erheiternde Seite. Die schreienden Demonstranten und trommelnden Polizisten erinnerten doch sehr an Geschichten von Stammeskriegen der vermeintlich "Wilden" im afrikanischen Busch. Die Ausr�stung mag heute eine andere sein, aber Anla� (territorialer Konflikt) und grundlegende Drohgeb�rden haben sich seither kaum gewandelt.

Soviel also zu den Errungenschaften unserer Zivilisation. Vielleicht habe ich aber auch in meiner Kindheit einfach nur zuviel "Shaka Zulu" und �hnliches gesehen (erinnert sich au�er mir noch jemand daran?) ...

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Stammeskrieger mit Wasserwerfern 2002-11-24 22:30 Man sollte seine Worte wirklich mit Bedacht w�hlen. Ich habe offensichtlich in meinem letzten Eintrag etwas leichtsinnig von einem durch Filmcrews verursachten Belagerungszustand hier in meiner Gegend gesprochen. Seit Freitag abend wei� ich, welche Ausma�e eine solche Belagerung wirklich annehmen kann.

Da n�mlich stie� ich bei einem sp�ten Spaziergang nicht auf ein paar gelangweilte Kameraleute, sondern gleich auf mehrere Wasserwerfer, einen R�umpanzer, zahllose gepanzerte Polizei-Einheiten aus verschiedenen Bundesl�ndern nebst Unterst�tzung vom BGS - also so ziemlich das Letzte, was man in meiner �u�erst ruhigen, gediegenen Nachbarschaft erwarten w�rde. Entsprechend unintelligent sicherlich auch mein Gesichtsausdruck ...

Die gesamte Szenerie wirkte vor allem deshalb so skurril, da sich die Ursache dieses staatsgewaltigen Aufmarsches auf den ersten Blick gar nicht ermitteln lie�. Es schien so, als w�rden die Polizisten einfach nur die regnerische, neblig-tr�be Hamburger Nacht oder allenfalls noch ein paar �ltere Herren bewachen, die ihre Terrier Gassi f�hrten. Viel L�rm um nichts?

Nein, sie bewachten das "Wollenberg", in dem neben Michael Ammer und Busenfreund Bohlen auch unser zu Peinlichkeiten neigende Innensenator Ronald "Gnadenlos" Schill zu feiern pflegt. Ein Haufen "langhaariger Steinewerfer und Bombenleger" (so meine Mutter �ber meine Jugendfreunde ... damals) hatte n�mlich angedroht, dort gegen die R�umung des Bauwagenplatzes "Bambule" zu demonstrieren, nachdem die Krawalle inklusive brennender Stra�enbarrikaden im Schanzenviertel am Wochenende zuvor erfolglos geblieben waren.

Von den gef�rchteten Autonomen war allerdings zun�chst nichts zu sehen. Die waren inzwischen offensichtlich zum Dammtor-Bahnhof weitergezogen. Und nat�rlich mu�te ich, von uners�ttlicher Neugier getrieben und stets um interessante Geschichten f�r Euch bem�ht, mich auch gleich auf den Weg dorthin machen.

Am Bahnhof herrschte dann tats�chlich eine Art Ausnahmezustand. Etwa 600 Demonstranten hatten sich hinter einem Lautsprecherwagen versammelt (den Altlinken unter Euch vermutlich besser bekannt als "Lauti"). Auf jeden Demonstranten kamen etwa 2,2 Polizisten in voller Schutzmontur (ein Freudenfest f�r Uniformfetischisten), welche die laut "Schill mu� weg" Skandierenden mi�trauisch be�ugten.

Acht Wasserwerfer und zwei Panzerr�umfahrzeuge riegelten zudem die gesamte Gegend systematisch ab, auf da� auch ja niemand in die Seitenstra�en entweichen und Unfrieden im Diplomatenviertel stiften m�ge. McDonalds hatte vorsorglich die T�ren verrammelt, und die Uniformierten lie�en nur noch gesittet aussehende, offensichtlich irritierte Passanten den Bahnhof betreten.

Nach einiger Diskussion einigten sich die Parteien offensichtlich, den Zug in Richtung Schanzenviertel fortzusetzen. Allen voran marschierte die Polizei, danach folgten die Demonstranten wieder mit Lautsprecherwagen, an den Seiten ebenfalls von Polizisten bewacht, die drohend mit Schlagst�cken auf unschuldige Laternenmasten trommelten. Die Nachhut bildete noch mehr Polizei, die aus diversen n�rdlichen Bundesl�ndern zusammengeliehen werden mu�te.

Die Wasserwerfer r�ckten �ber Seitenstra�en ab, um den Tro� dann p�nktlich an der n�chsten Kreuzung wieder mit Flutlicht empfangen zu k�nnen. Ein wirklich beeindruckendes n�chtliches Szenario, das aber trotz des realistischen Nieselregens und der gef�hlsecht klammen Kleidung mehr wie eine Szene eines David-Lynch-Films auf mich wirkte.

Die Route f�hrte unter anderem am Dorint Hotel vorbei, in dessen Erdgescho� sich eine Bar befindet. W�hrend also drau�en der Aufruhr geprobt wurde, sa�en drinnen erfolgreiche Mittvierzieger in runden Lounge-Sesseln im 70er-Jahre-Design, schl�rften Cocktails und beobachteten teils am�siert, teils ver�chtliche kopfsch�ttelnd das Spektakel.

Doch der Zoo-Effekt lie� sich noch steigern. N�chste Sehensw�rdigkeit entlang unserer Route war die "Nobel Bar", ein Bordell in Messen�he, mitten in einer Wohngegend. Die Damen des Hauses sa�en, streng bewacht von einem Klischee-Kerl mit Kleiderschrank-Ma�en, in leicht bekleidetem Zustand der Witterung trotzend auf den Stufen und begutachteten neugierig den Umzug. Es lie� sich nicht so leicht ermitteln, wer hier wen interessierter be�ugte.

Und an jeder gro�en Kreuzung warteten schon wieder die Wasserwerfer, und tauchten die Vorbeiziehenden in ein glei�endes Licht. Im Schanzenviertel war dann endg�ltig Schlu�. Die Schanzenstra�e war auf einer Seite durch besagte Wasserwerfer gesperrt, die Demonstrierenden marschierten hinter ihrem "Lauti" auf, und dann wurde das andere Ende der Stra�e von dichtgepackten Reihen der Polizei abgeriegelt.

Die Bambule-Anh�nger riefen weiter diverse Slogans, w�hrend die Polizisten rhythmisch mit Schlagst�cken auf ihre Schutzschilde einschlugen. Die Szene wirkte zunehmend bedrohlich, der allgemeine Adrenalinspiegel stieg bedenklich an, und ich sah mich zum ersten Mal nach einer unauff�lligen R�ckzugsm�glichkeit um.

Gelebte Demokratie in Form von n�chtlichen Auseinandersetzungen im str�menden Regen ist ganz offensichtlich nicht so wirklich mein Ding (schon gar nicht in dieser konkreten Angelegenheit). Dann doch lieber zur�ck an den Schreibtisch, zur Teekanne und zur beheizten Wahlkabine.

Aus der n�tigen Distanz betrachtet, hat die ganze Angelegenheit aber auch eine �beraus erheiternde Seite. Die schreienden Demonstranten und trommelnden Polizisten erinnerten doch sehr an Geschichten von Stammeskriegen der vermeintlich "Wilden" im afrikanischen Busch. Die Ausr�stung mag heute eine andere sein, aber Anla� (territorialer Konflikt) und grundlegende Drohgeb�rden haben sich seither kaum gewandelt.

Soviel also zu den Errungenschaften unserer Zivilisation. Vielleicht habe ich aber auch in meiner Kindheit einfach nur zuviel "Shaka Zulu" und �hnliches gesehen (erinnert sich au�er mir noch jemand daran?) ...