Im Wartezimmer eines Arztes zu sitzen ist fast immer eine etwas sonderbare Erfahrung. Anders als etwa in Z�gen, wo sich Menschen jenseits der 60 mit zunehmender Begeisterung �ber ihre variationsreiche Krankengeschichte austauschen, scheint der pers�nliche Bericht direkt vor Ort tabu zu sein.
Vermutlich ist die Krankheit dort zu nah, die eigene Betroffenheit zu unmittelbar. Au�erdem gilt es gesellschaftliche Grenzen zu wahren, zu denen nun mal auch potentiell unappetitliche Krankheitsschilderungen geh�ren, mit denen man Fremden zu nahe r�cken k�nnte. Also betrachtet man seine Mitwartenden allenfalls diskret aus den Augenwinkeln und vertieft sich ansonsten angestrengt in die ausliegende Lekt�re.
An dieser Stelle kann ich mir einen kleinen Exkurs nicht verkneifen und mu� auf eines meiner absoluten Lieblingsb�cher aus der Kategorie "Machwerke, die die Welt nicht braucht" hinweisen. Die ber�chtigte Gloria von Thurn und Taxis hat der Welt n�mlich ein Buch beschert, in dem sie sich auf unbeabsichtigt heitere Weise �ber "Unsere Umgangsformen" ausl��t - wobei sich das "unsere" ausdr�cklich auf ihr spezielles Umfeld bezieht.
Ich zitiere zum Thema Krankheiten: "Es gibt Gebrechen, die "man" hat, und andere, die "man" besser nicht hat. Zu Ersteren geh�ren Sport- und Jagdverletzungen, Migr�ne und Erk�ltungen, zu Letzteren Sodbrennen, Krampfadern, Verdauungs- und Prostatabeschwerden sowie aufgescheuerte Knie vom K�chenbodenscheuern. �ber die eigenen Beschwerden zu reden ist absolut tabu."
Anschlie�end bringt sie noch das anschauliche Beispiel vom Tode der Kaiserin Sissi, die sich ihre schwere Verwundung durch ein Attentat mit einer Nagelfeile aus Anstand nicht anmerken lie�, bis sie sich schlie�lich kurz an die Schl�fe fa�te und tot zu Boden sank.
Weitere Kommentare er�brigen sich da wohl. Ich kann das Buch allerdings jedem mit einem gewissen abseitigen Sinn f�r Humor w�rmstens als last-minute-Weihnachtsgeschenk empfehlen. Bei uns hat es vor zwei Jahren die ganze Familie tagelang erheitert.
Aber zur�ck zum Wartezimmer und unseren Kreisen ... Besonders skurril ist es, im Wartezimmer eines Psychotherapeuten zu sitzen. Dort ist es nat�rlich erst recht tabu, sich nach dem Befinden der anderen Wartenden zu erkundigen, was die ganze Situation nicht unbedingt entspannt.
Und so sitzt dort jeder verkrampft darum bem�ht, einen m�glichst "normalen" und "gesunden" Eindruck zu hinterlassen - was auch immer das sein mag. ("Ich? Ohhh, ich bin hier kein Patient, ich hole jemanden ab / studiere Psychologie / bin mit Frau Dr. XY pers�nlich befreundet.")
Meist geht das so weit, da� man sich nicht mal zur Begr��ung direkt ins Gesicht sieht, sondern die anderen bereits beim Betreten des Zimmers diskret aus den Augenwinkeln mustert. Nat�rlich stets darum bem�ht, m�gliche Psycho-Defekte durch eine kurze Musterung gekonnt zu erraten: "So d�nn wie die ist, hat die bestimmt 'ne E�-St�rung."
Meine Therapeutin (ja, ratet ruhig) vermeidet solche Situationen meist ziemlich geschickt, und so sa�en wir heute wohl versehentlich zum ersten Mal zu dritt dort rum. Ich hielt die intensive Besch�ftigung mit der Zimmerpflanze ungef�hr drei Minuten durch, und dann wurde mir das ganze Spiel zu dumm. Wenn ich drei Menschen beobachten m�chte, die m�glichst unbeteiligt und doch unangenehm ber�hrt nebeneinander rumstehen, dann seh ich mir Beckett an.
Also sprach ich den etwa gleichaltrigen Mann mir gegen�ber an, sagte irgend etwas Harmloses in meiner besten H�rbuch-Stimme (danke, Andrea) und l�chelte freundlich. Dem �rmsten fiel vor Schreck fast der Terminkalender aus der Hand, und er schob sich verlegen die Brille h�her auf die Nase.
Wow, offensichtlich hatte ich wirklich gegen alle Konventionen versto�en. Solche Reaktionen erntet man normalerweise nur bei �ffentlichen Diskussionen �ber T�towierungen im Intimbereich. Was blieb mir da noch �brig, als m�glichst unger�hrt weiterzureden (ja, ich kann nicht nur lange Erg�sse schreiben, sondern ebenso reden).
Und siehe da, kaum war die peinliche Stille gebrochen und der erste Schreck dar�ber verdaut, entspann sich eine ganz angenehme Unterhaltung. Wir warfen uns zwar nicht gegenseitig unsere Macken vor die F��e, sa�en aber auch nicht l�nger wie Fremde beim Gefangenentransport nebeneinander.
Vielleicht gehen wir demn�chst sogar mal gemeinsam Kaffeetrinken. "Wo haben Sie sich denn kennengelernt?" - "Oh, wir hatten dieselbe Therapeutin." Also ich finde das geradezu trendverd�chtig. Das Wartezimmer des Psychodocs als Single-Party des 21. Jahrhunderts.
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