2003-01-13 - 11:08 - Eiskalter Ungehorsam

Als ich vor etlichen Jahren zum ersten Mal nach Hamburg kam, fiel mir vor allem der Ampel-Gehorsam der hanseatischen Fu�g�nger auf. Hier wird an roten Ampeln n�mlich noch ordnungsgem�� auf das gr�ne M�nnchen gewartet, komme was da wolle. Auch wenn nichts kommt.

Man trifft hier sogar mitten in der Nacht und in bitterster K�lte auf gesetzestreue B�rger, die geduldig an einer roten Fu�g�nger-Ampel warten. Ob tats�chlich ein Auto naht oder die Stra�e schon seit Stunden komplett verwaist ist, spielt dabei offensichtlich �berhaupt keine Rolle.

Nach den ersten eigenen Erfahrungen mit dem Autoverkehr verstand ich das Verhalten allerdings schon besser. F�r Autofahrer scheint eine Mindestgeschwindigkeit von 60 in der Stadt vorgeschrieben zu sein. Wer sich diesem Diktat des flie�enden Verkehrs verweigert, bekommt sofort den Zorn aller anderen Autofahrer zu sp�ren - ohrenbet�ubende Hupkonzerte sind da noch das Mindeste.

So steht der Fu�g�nger an der roten Ampel, w�hrend vor ihm der Verkehr rauscht und hinter ihm rasende Fahrradboten mit Scheuklappen und ohne Furcht vor Zusammenst��en seine zarten Knochen bedrohen. Die Ampelh�rigkeit der Fu�g�nger scheint also vor allem dem �berlebenstrieb geschuldet zu sein.

Um so mehr erstaunt es, da� sowohl Gesetzestreue als auch �berlebenstrieb in den Urlaub geschickt werden, sobald die Alster in ihrem Eisprinzessinnenkleid lockt. Und so spazierten Samstag Hunderte sonst Ampelh�riger ungeachtet aller polizeilichen Warnungen bei sch�nstem Winterwetter �ber die geschlossene Eisdecke der Alster.

Zugegeben, trotz der Sch�nheit der Szenerie eine ziemlich skurrile Situation. Denn w�hrend die Menschen in Scharen �ber das Eis rutschten oder gleich die Schlittschuhe auspackten, standen am Rand in regelm��igen Abst�nden besorgte Polizisten mit ihren Lautsprechern.

"Bitte verlassen Sie sofort die Eisfl�che." - "Das Betreten der Eisfl�che ist mit Lebensgefahr verbunden. Kommen Sie da runter." - "Die Eisfl�che ist nicht von der Beh�rde freigegeben worden. Es besteht Lebensgefahr. Das Betreten ist strikt verboten." Usw.

Aber die Spazierg�nger zeigten sich g�nzlich unger�hrt von den Warnungen und genossen das �u�erst seltene Vergn�gen eines Spaziergangs auf der Alster. Lebensgefahr? Steht hier etwa irgendwo eine rote Ampel? Eine solche Totalverweigerungshaltung gegen�ber polizeilichen Anordnungen findet man sonst h�chstens auf Bambule-Demos, nicht aber im Alltag anst�ndiger Alsteranwohner.

Aber es war wirklich unm�glich, den Verlockungen der Alster zu widerstehen. Selbst ich �berwand das mulmige Gef�hl in meinem Magen (fr�hzeitig aus dem Leben zu scheiden, weil man allen Warnungen zum Trotz auf der Alster spaziert und einbricht, ist schon direkt Darwin-Award-verd�chtig).

Die Sonne k�mpfte sich tapfer durch die letzten Nebelfetzen und lie� die zun�chst noch weitgehend unber�hrte Schneedecke auf der Alster wie ein Diamantmeer glitzern. Ausnahmsweise schien selbst der gr��te Muffel gute Laune zu entwickeln, und alle waren offensichtlich fest entschlossen, sich durch nichts die Freude an diesem seltenen Ereignis nehmen zu lassen. Kollektive Freundlichkeit statt des sonst �blichen Gerempels bei Massenveranstaltungen.

Warum mu� es ausgerechnet jetzt wieder w�rmer werden, so kurz vor einem auch beh�rdlich genehmigten Alstervergn�gen? Warum jetzt, wo ich mich endlich daran gew�hnt habe, nur noch als Mischung aus maskiertem Bankr�uber und ausgepolsterter Kunstpelzkugel vor die T�r zu gehen? Warum jetzt, wo ich mit Marc nur noch quer �ber die Alster schlittern m��te, um ins Caf� Gnosa zu gelangen? Ich will lieber noch ein paar Wochen frieren ...

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Eiskalter Ungehorsam 2003-01-13 11:08 Als ich vor etlichen Jahren zum ersten Mal nach Hamburg kam, fiel mir vor allem der Ampel-Gehorsam der hanseatischen Fu�g�nger auf. Hier wird an roten Ampeln n�mlich noch ordnungsgem�� auf das gr�ne M�nnchen gewartet, komme was da wolle. Auch wenn nichts kommt.

Man trifft hier sogar mitten in der Nacht und in bitterster K�lte auf gesetzestreue B�rger, die geduldig an einer roten Fu�g�nger-Ampel warten. Ob tats�chlich ein Auto naht oder die Stra�e schon seit Stunden komplett verwaist ist, spielt dabei offensichtlich �berhaupt keine Rolle.

Nach den ersten eigenen Erfahrungen mit dem Autoverkehr verstand ich das Verhalten allerdings schon besser. F�r Autofahrer scheint eine Mindestgeschwindigkeit von 60 in der Stadt vorgeschrieben zu sein. Wer sich diesem Diktat des flie�enden Verkehrs verweigert, bekommt sofort den Zorn aller anderen Autofahrer zu sp�ren - ohrenbet�ubende Hupkonzerte sind da noch das Mindeste.

So steht der Fu�g�nger an der roten Ampel, w�hrend vor ihm der Verkehr rauscht und hinter ihm rasende Fahrradboten mit Scheuklappen und ohne Furcht vor Zusammenst��en seine zarten Knochen bedrohen. Die Ampelh�rigkeit der Fu�g�nger scheint also vor allem dem �berlebenstrieb geschuldet zu sein.

Um so mehr erstaunt es, da� sowohl Gesetzestreue als auch �berlebenstrieb in den Urlaub geschickt werden, sobald die Alster in ihrem Eisprinzessinnenkleid lockt. Und so spazierten Samstag Hunderte sonst Ampelh�riger ungeachtet aller polizeilichen Warnungen bei sch�nstem Winterwetter �ber die geschlossene Eisdecke der Alster.

Zugegeben, trotz der Sch�nheit der Szenerie eine ziemlich skurrile Situation. Denn w�hrend die Menschen in Scharen �ber das Eis rutschten oder gleich die Schlittschuhe auspackten, standen am Rand in regelm��igen Abst�nden besorgte Polizisten mit ihren Lautsprechern.

"Bitte verlassen Sie sofort die Eisfl�che." - "Das Betreten der Eisfl�che ist mit Lebensgefahr verbunden. Kommen Sie da runter." - "Die Eisfl�che ist nicht von der Beh�rde freigegeben worden. Es besteht Lebensgefahr. Das Betreten ist strikt verboten." Usw.

Aber die Spazierg�nger zeigten sich g�nzlich unger�hrt von den Warnungen und genossen das �u�erst seltene Vergn�gen eines Spaziergangs auf der Alster. Lebensgefahr? Steht hier etwa irgendwo eine rote Ampel? Eine solche Totalverweigerungshaltung gegen�ber polizeilichen Anordnungen findet man sonst h�chstens auf Bambule-Demos, nicht aber im Alltag anst�ndiger Alsteranwohner.

Aber es war wirklich unm�glich, den Verlockungen der Alster zu widerstehen. Selbst ich �berwand das mulmige Gef�hl in meinem Magen (fr�hzeitig aus dem Leben zu scheiden, weil man allen Warnungen zum Trotz auf der Alster spaziert und einbricht, ist schon direkt Darwin-Award-verd�chtig).

Die Sonne k�mpfte sich tapfer durch die letzten Nebelfetzen und lie� die zun�chst noch weitgehend unber�hrte Schneedecke auf der Alster wie ein Diamantmeer glitzern. Ausnahmsweise schien selbst der gr��te Muffel gute Laune zu entwickeln, und alle waren offensichtlich fest entschlossen, sich durch nichts die Freude an diesem seltenen Ereignis nehmen zu lassen. Kollektive Freundlichkeit statt des sonst �blichen Gerempels bei Massenveranstaltungen.

Warum mu� es ausgerechnet jetzt wieder w�rmer werden, so kurz vor einem auch beh�rdlich genehmigten Alstervergn�gen? Warum jetzt, wo ich mich endlich daran gew�hnt habe, nur noch als Mischung aus maskiertem Bankr�uber und ausgepolsterter Kunstpelzkugel vor die T�r zu gehen? Warum jetzt, wo ich mit Marc nur noch quer �ber die Alster schlittern m��te, um ins Caf� Gnosa zu gelangen? Ich will lieber noch ein paar Wochen frieren ...