2003-01-27 - 19:44 - Regnerischer Nachmittag mit dem Deibel

Alle Welt verlobt sich, aber Lyssa will lieber einen Hund. So etwa k�nnte die Kurzfassung meiner �berlegungen der letzten zwei Wochen lauten. Also machte ich mich vor ein paar Tagen auf die Suche nach einem Hund, der dringend ein neues kuscheliges Zuhause braucht.

Und obwohl ich �berwiegend schrecklich schr�ge Erfahrungen mit M�nnern aus dem Internet gemacht habe, wollte ich dem Netz noch eine Chance geben. Auch wenn es nicht ganz so viele suchende Hunde wie M�nner im Netz gibt, fand ich schneller einen ansehnlichen Hund als seine menschliche Entsprechung.

Heute nachmittag stand dann endlich der Besuch im Tierheim meiner Wahl an - Gassi gehen und Leckerli statt Blind Date und Blumen. Beim Betreten des Hauses hatte ich jedoch zun�chst das Gef�hl, versehentlich in einer auf erfolglose Di�tkuren spezialisierten Klinik gelandet zu sein.

Am Empfang sa� eine unglaublich dicke Frau, die ununterbrochen irgendwelchen Tiergeschichten am Telefon austauschte ("hach ja, isser nich s��"). Gelegentlich verscheuchte sie eine noch viel dickere Katze, die klagend ihren Hunger in die Welt maunzte. Eigentlich waren von der Katze nur noch die Spitzen der Ohren und zwei kleine Augen zu sehen. Der Rest war reine Masse, die sich in kleinen Wellen irgendwie vorw�rts bewegte. Selbst Garfield w�re bei ihrem Anblick vor Schreck in den Hungerstreik getreten.

Neben einem St�nder mit Brosch�ren wie "Gassi gehen leicht gemacht" hockte au�erdem ein weiblicher, nicht minder beleibter Teenie mit rosa Haaren. Sie blickte nur kurz auf, als wir reinkamen (Q hatte mich netterweise begleitet), sackte dann wieder in sich zusammen und versteckte sich hinter ihrem Vorhang aus Haar.

Sie gab ein solches Bild des Jammers, da� ich schon Sorge hatte, jemand h�tte sie versehentlich hier ausgesetzt. Hilfe, ich wollte einen Hund, aber kein Kind im schlimmsten Alter adoptieren.

Irgendwann erbarmte sich die freundliche Dame am Empfang dann und lie� nach dem Hundepfleger fahnden. Nat�rlich war auch er reichlich beleibt und sagte fr�hlich: "So, sie wollen es also mit Tasso aufnehmen? Na, dann werd ich den Deibel mal holen."

Den Deibel? Ich wollte dem Mann gleich zum Zwinger folgen, aber der riet mir, besser in der Eingangshalle auf ihn zu warten. "Bleiben Sie mal besser hier. Ich will Sie ja nicht gleich zu Beginn v�llig verschrecken, und er l��t sich ungern anleinen. Wollen Sie den Hund so mitnehmen zum Spaziergang, oder soll ich ihm doch besser einen Maulkorb anlegen?"

Na prima, auf was hatte ich mich jetzt blo� wieder eingelassen? Vielleicht sollte ich mich besser von neurotischen Tierheim-Hunden fernhalten. Aber zum Gl�ck hatte ich Q dabei. Und der w�rde mich ja wohl im Zweifel vor einem bei�w�tigen Hund retten. Schlie�lich ist er 1,93 und kann ziemlich grimmig gucken.

Aber weit gefehlt. Just in dem Moment fiel Q wieder ein, da� er eigentlich panische Angst vor mittelgro�en Hunden hat und sich unbedingt von uns fernhalten m�chte. Kaum kam der - nat�rlich ebenfalls ziemlich �bergewichtige - Hirtenhund-Mischling nebst Pfleger zur T�r herein, erwachte Qs Interesse an den bunte Brosch�ren, die er sofort eingehend studieren mu�te.

Q hat diverse solcher Phobien, die man ihm auf den ersten Blick gar nicht zutrauen w�rde. Das Problem dabei sind auch nicht verst�ndliche �ngste, sondern die Tatsache, da� ihm diese immer erst dann pl�tzlich wieder einfallen, wenn er mit der konkreten Situation konfrontiert wird. So fiel ihm das mit der H�henangst leider auch erst dann wieder ein, als wir im Urlaub bereits auf einem unglaublich hohen Aussichtsturm standen. Q wurde kreidebleich, klammerte sich an mich und murmelte ununterbrochen: "Er schwankt. Bestimmt! Wir werden sterben."

Der Pfleger grinste also fr�hlich, dr�ckte mir noch ein paar Leckerli als Bestechungsgeld in die Hand, und wir zogen unter den kritischen Blicken des dicken M�dchens im G�nsemarsch ab in die Felder. Der Hund hechelnd voran, einen Meter dahinter meine Wenigkeit und mit seeehr viel Abstand dann irgendwann auch Q, mit dem eine Verst�ndigung f�r die n�chsten vierzig Minuten nur mittels Schreien m�glich war. Aber netterweise hatte er zumindest angek�ndigt, da� er mich auf keinen Fall vor "der Bestie" retten w�rde.

Die "Bestie" war erstaunlich brav und gehorchte aufs Wort. Sie guckte mich fast st�ndig erwartungsvoll an, und es dauerte eine Weile, bis ich begriff, da� das rein gar nichts mit unserem sch�nen Spaziergang im str�menden Regen zu tun hatte. Tasso fand Bewegung eher l�stig, vermutete in meiner Tasche aber zurecht das zuvor erhaltene Bestechungsgeld und sprang nur in Erwartung der Leckerlis aufgeregt hin und her.

Zum Gl�ck erz�hlte mir der Hundepfleger erst nachdem wir wieder im Trockenen waren, und ich den Hund ausgiebig gestreichelt hatte, da� er h�ufiger mal ohne Vorwarnung zuschnappt. Erst k�rzlich hat er wohl mit seinem sehr gesunden Gebi� eine h�bsche Markierung in der Wade der Tierschutz-Vorsitzenden hinterlassen.

Au�erdem entwickelt er mit der Zeit einen ausgepr�gten Besch�tzerinstinkt und l��t dann nur unter Vorbehalt Menschen an seinen Besitzer. Eine Angewohnheit, die sich bei n�chtlichen Spazierg�ngen im Karo-Viertel als sehr sinnvoll, im Alltag aber als eher hinderlich herausstellen d�rfte.

Vermutlich w�re damit eine Entscheidung f�r einen Hund und gegen intimere Sozialkontakte f�r recht lange Zeit getroffen. Ich f�rchte, liebebed�rftige Hunde aus dem Netz sind auch nicht weniger kompliziert als ihre menschlichen Pendants. Es wird wohl noch weitere Gassi-Blind-Dates geben.

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Regnerischer Nachmittag mit dem Deibel 2003-01-27 19:44 Alle Welt verlobt sich, aber Lyssa will lieber einen Hund. So etwa k�nnte die Kurzfassung meiner �berlegungen der letzten zwei Wochen lauten. Also machte ich mich vor ein paar Tagen auf die Suche nach einem Hund, der dringend ein neues kuscheliges Zuhause braucht.

Und obwohl ich �berwiegend schrecklich schr�ge Erfahrungen mit M�nnern aus dem Internet gemacht habe, wollte ich dem Netz noch eine Chance geben. Auch wenn es nicht ganz so viele suchende Hunde wie M�nner im Netz gibt, fand ich schneller einen ansehnlichen Hund als seine menschliche Entsprechung.

Heute nachmittag stand dann endlich der Besuch im Tierheim meiner Wahl an - Gassi gehen und Leckerli statt Blind Date und Blumen. Beim Betreten des Hauses hatte ich jedoch zun�chst das Gef�hl, versehentlich in einer auf erfolglose Di�tkuren spezialisierten Klinik gelandet zu sein.

Am Empfang sa� eine unglaublich dicke Frau, die ununterbrochen irgendwelchen Tiergeschichten am Telefon austauschte ("hach ja, isser nich s��"). Gelegentlich verscheuchte sie eine noch viel dickere Katze, die klagend ihren Hunger in die Welt maunzte. Eigentlich waren von der Katze nur noch die Spitzen der Ohren und zwei kleine Augen zu sehen. Der Rest war reine Masse, die sich in kleinen Wellen irgendwie vorw�rts bewegte. Selbst Garfield w�re bei ihrem Anblick vor Schreck in den Hungerstreik getreten.

Neben einem St�nder mit Brosch�ren wie "Gassi gehen leicht gemacht" hockte au�erdem ein weiblicher, nicht minder beleibter Teenie mit rosa Haaren. Sie blickte nur kurz auf, als wir reinkamen (Q hatte mich netterweise begleitet), sackte dann wieder in sich zusammen und versteckte sich hinter ihrem Vorhang aus Haar.

Sie gab ein solches Bild des Jammers, da� ich schon Sorge hatte, jemand h�tte sie versehentlich hier ausgesetzt. Hilfe, ich wollte einen Hund, aber kein Kind im schlimmsten Alter adoptieren.

Irgendwann erbarmte sich die freundliche Dame am Empfang dann und lie� nach dem Hundepfleger fahnden. Nat�rlich war auch er reichlich beleibt und sagte fr�hlich: "So, sie wollen es also mit Tasso aufnehmen? Na, dann werd ich den Deibel mal holen."

Den Deibel? Ich wollte dem Mann gleich zum Zwinger folgen, aber der riet mir, besser in der Eingangshalle auf ihn zu warten. "Bleiben Sie mal besser hier. Ich will Sie ja nicht gleich zu Beginn v�llig verschrecken, und er l��t sich ungern anleinen. Wollen Sie den Hund so mitnehmen zum Spaziergang, oder soll ich ihm doch besser einen Maulkorb anlegen?"

Na prima, auf was hatte ich mich jetzt blo� wieder eingelassen? Vielleicht sollte ich mich besser von neurotischen Tierheim-Hunden fernhalten. Aber zum Gl�ck hatte ich Q dabei. Und der w�rde mich ja wohl im Zweifel vor einem bei�w�tigen Hund retten. Schlie�lich ist er 1,93 und kann ziemlich grimmig gucken.

Aber weit gefehlt. Just in dem Moment fiel Q wieder ein, da� er eigentlich panische Angst vor mittelgro�en Hunden hat und sich unbedingt von uns fernhalten m�chte. Kaum kam der - nat�rlich ebenfalls ziemlich �bergewichtige - Hirtenhund-Mischling nebst Pfleger zur T�r herein, erwachte Qs Interesse an den bunte Brosch�ren, die er sofort eingehend studieren mu�te.

Q hat diverse solcher Phobien, die man ihm auf den ersten Blick gar nicht zutrauen w�rde. Das Problem dabei sind auch nicht verst�ndliche �ngste, sondern die Tatsache, da� ihm diese immer erst dann pl�tzlich wieder einfallen, wenn er mit der konkreten Situation konfrontiert wird. So fiel ihm das mit der H�henangst leider auch erst dann wieder ein, als wir im Urlaub bereits auf einem unglaublich hohen Aussichtsturm standen. Q wurde kreidebleich, klammerte sich an mich und murmelte ununterbrochen: "Er schwankt. Bestimmt! Wir werden sterben."

Der Pfleger grinste also fr�hlich, dr�ckte mir noch ein paar Leckerli als Bestechungsgeld in die Hand, und wir zogen unter den kritischen Blicken des dicken M�dchens im G�nsemarsch ab in die Felder. Der Hund hechelnd voran, einen Meter dahinter meine Wenigkeit und mit seeehr viel Abstand dann irgendwann auch Q, mit dem eine Verst�ndigung f�r die n�chsten vierzig Minuten nur mittels Schreien m�glich war. Aber netterweise hatte er zumindest angek�ndigt, da� er mich auf keinen Fall vor "der Bestie" retten w�rde.

Die "Bestie" war erstaunlich brav und gehorchte aufs Wort. Sie guckte mich fast st�ndig erwartungsvoll an, und es dauerte eine Weile, bis ich begriff, da� das rein gar nichts mit unserem sch�nen Spaziergang im str�menden Regen zu tun hatte. Tasso fand Bewegung eher l�stig, vermutete in meiner Tasche aber zurecht das zuvor erhaltene Bestechungsgeld und sprang nur in Erwartung der Leckerlis aufgeregt hin und her.

Zum Gl�ck erz�hlte mir der Hundepfleger erst nachdem wir wieder im Trockenen waren, und ich den Hund ausgiebig gestreichelt hatte, da� er h�ufiger mal ohne Vorwarnung zuschnappt. Erst k�rzlich hat er wohl mit seinem sehr gesunden Gebi� eine h�bsche Markierung in der Wade der Tierschutz-Vorsitzenden hinterlassen.

Au�erdem entwickelt er mit der Zeit einen ausgepr�gten Besch�tzerinstinkt und l��t dann nur unter Vorbehalt Menschen an seinen Besitzer. Eine Angewohnheit, die sich bei n�chtlichen Spazierg�ngen im Karo-Viertel als sehr sinnvoll, im Alltag aber als eher hinderlich herausstellen d�rfte.

Vermutlich w�re damit eine Entscheidung f�r einen Hund und gegen intimere Sozialkontakte f�r recht lange Zeit getroffen. Ich f�rchte, liebebed�rftige Hunde aus dem Netz sind auch nicht weniger kompliziert als ihre menschlichen Pendants. Es wird wohl noch weitere Gassi-Blind-Dates geben.