2003-05-05 - 23:58 - Oops, we're not in Kansas anymore

Die Tornado-Saison 2003 ist sp�testens jetzt offiziell eingel�utet, zumindest nimmt man seit heute auch in Deutschland wieder einmal Kenntnis von diesem "Naturph�nomen". Einige dieser Windhosen sind �ber Kansas und Missouri gezogen, haben ganze Ortschaften irgendwo auf dem platten Land in ihre Holzlatten-Einzelteile zerlegt, den Flughafen von Kansas City vor�bergehend lahmgelegt und leider auch den �rtlichen Bestattungsunternehmen Arbeit verschafft.

Ich pers�nlich halte es f�r nicht ganz so erstaunlich, da� die Natur etwas wie diese Twister hervorbringen kann. Das eigentliche Ph�nomen liegt vielmehr darin, da� trotz der allj�hrlich wiederkehrenden Fr�hsommerst�rme immer noch Menschen in klapprigen Holzh�usern ohne Kellerr�ume im Mittleren Westen leben.

Kein Fleckchen Erde auf dieser Welt wird von mehr Tornados heimgesucht als Kansas. Und trotzdem wohnen dort fast alle, v�llig unabh�ngig vom jeweiligen Kontostand, in schlecht isolierten Holzh�usern, in denen es im Sommer viel zu hei� ist, im Winter viel zu kalt, und die regelm��ig im Fr�hjahr umgepustet zu werden drohen. Sollte das Katastrophenszenario tats�chlich einmal wahr werden, baut man das Haus halt in derselben Bauweise an derselben Stelle wieder auf.

Vermutlich mu� man dort geboren werden, um diese Form der Schicksalsergebenheit zu verstehen in einer Zeit, in der Menschen lieber Isolierklebeband und Gasmasken f�r den Fall eines terroristischen Giftgasangriffs kaufen als ihr Haus zuverl�ssig gegen allj�hrliche St�rme zu sichern. Ich zumindest habe mir nach einem Jahr als Austausch-Sch�lerin in Kansas geschworen, meinen Lebensabend lieber in Wanne-Eickel zu verbringen als noch mal l�ngere Zeit in Kansas zu leben.

Und das sicherlich nicht nur, weil man dort endlose Maisfelder f�r Landschaftsgestaltung und Coke f�r ein angemessenes Verh�tungsmittel h�lt. Auch nicht etwa nur, weil Oralsex immer noch gesetzlich untersagt ist, die Evolutionstheorie vom Lehrplan gestrichen und durch die biblische Sch�pfungslehre ersetzt wurde und auf einen normalen Menschen drei religi�se Hardliner kommen, die zudem besser bewaffnet sind als ein durchschnittlicher angolanischer Rebell.

Nein, all das w�re zu ertragen, die Tornado-Saison hingegen ist es nicht. Wir hatten w�hrend der Hauptmonate April bis Juni etwa zwei bis drei Tornado-Warnungen pro Woche. Dieser Fall tritt meist am sp�ten Nachmittag oder fr�hen Abend ein, was mit den unterschiedlich erw�rmten Luftmassen zu tun hat (fragt Herrn Kachelmann nach den Details). Pl�tzlich gehen �berall Sirenen los, die �blichen TV-Sendungen werden f�r Warnungen mit bunten Satellitenbildern unterbrochen, Sportveranstaltungen werden sofort unterbrochen und alle Besucher m�ssen in spezielle Schutzbunker gehen.

Ahnungslose aus dem fernen Deutschland f�hlen sich sofort an Omas Erz�hlungen vom Krieg erinnert, aber die Einheimischen sind l�ngst daran gew�hnt. Bei meiner Gastfamilie war der Keller mit einem zweiten Fernseher, Telefon, Wasser- und Nahrungsmittelvorr�ten sowie ausreichend Feldbetten ausgestattet. Da die Sirenen meist beim Abendessen losgingen, hatten wir l�ngst gelernt, den gedeckten Tisch f�r eine Gro�familie innerhalb von weniger als einer Minute in den Keller zu verlegen und dort in Ruhe weiterzuessen.

Gegen Ende der Tornado-Saison regte auch mich das alles kaum noch auf, und ich bef�rchtete auch nicht l�nger, irgendwann den Alarm zu �berh�ren und im Schlaf nach Oz geweht zu werden. Schlie�lich h�rte man st�ndig Warnungen, aber die Wirbelst�rme richteten immer weit weg ihr Unheil an. Zumindest bis zu einem besonders hei�en Tag Ende Juni.

Ausgerechnet da war ich aber nicht bei meiner Gastfamilie, sondern zu Besuch bei einer Schulfreundin, deren kleines Holzhaus nat�rlich nicht unterkellert war. In der gesamten Stra�e gab es nicht ein einziges Haus mit Keller und auch keine Schutzr�ume in vern�nftiger Entfernung. Also sa� man im Schlafzimmer vor dem Fernseher, um bei Bedarf in einen der zwei Wandschr�nke fl�chten zu k�nnen.

Der Fall trat erschreckend schnell ein, und so versteckte sich die Mutter des Hauses mit der j�ngeren Tochter in einem Schrank, w�hrend ich mit der Freundin im gegen�berliegenden Schrank klemmte. Wir hatten ausgerechnet den Schrank mit der eingemotteten Winterkleidung erwischt, in dem es nach dem Muff von drei Generationen roch und so eng war, da� wir nur dicht aneinandergepre�t stehen konnten.

Die T�r lie�en wir einen Spalt ge�ffnet, um unsere Erstickungs�ngste zu bek�mpfen, denn die abgestandene hei�e Zimmerluft war immer noch besser als der Schrankmuff. Au�erdem konnten wir so die Kommunikation von Schrank zu Schrank aufrecht erhalten und uns gegenseitig mit schlechten Witzen �ber unsere alberne Lage beruhigen.

Bis wir pl�tzlich einen lauten Knall h�rten und uns in der n�chsten Sekunde in einem wilden Chaos wiederfanden. Zum Gl�ck hatte nur ein Ausl�ufer des Wirbelsturms die Stra�e erwischt, aber das konnten wir noch nicht wissen. Schon der Ausl�ufer reichte n�mlich aus, um das Dach abzudecken, die T�ren rauszurei�en und alle Fenster zu sprengen, so da� zersplittertes Glas, M�belst�cke und diverse Teile der Hauswand wie in einem Windkanal durch das kleine Schlafzimmer gewirbelt wurden.

Der L�rm war �berw�ltigend, und ich dachte in dem Moment wirklich, wir w�rden alle in diesen j�mmerlichen Wandschr�nken sterben und in Einzelteile zerlegt mit der Skimode des letzten Winters auf irgendein Maisfeld geweht werden. Ich glaube, wir haben alle geheult, geschrieen, uns aneinander geklammert und Sto�gebete gen Himmel geschickt. Und es war tats�chlich so, wie man es sonst immer lesen konnte: Die Zeit dehnte sich unendlich. Was vermutlich nur wenige Sekunden anhielt, kam mir wie eine Ewigkeit vor - eine Ewigkeit angef�llt mit Panik und Verzweiflung.

Aber genauso pl�tzlich war der L�rm auch wieder vorbei. Es herrschte einen Moment Ruhe, dann setzten in der Ferne die Sirenen der Krankenwagen ein, und es begann zu regnen. Wir �ffneten irgendwann vorsichtig wieder die T�ren der Schr�nke ein kleines St�ck, begannen gleichzeitig zu reden und zu heulen, schoben mit den F��en M�ll beiseite und kletterten m�hsam aus unseren engen Gef�ngnissen.

Den Rest der Nacht haben wir auf der Stra�e verbracht, die nicht mehr die geringste �hnlichkeit mit dem hatte, was wir kannten. �berall kaputte H�user, manche ganz zerst�rt, manche nur abgedeckt. Die Krankenwagen kamen nur bis in die N�he unserer Gegend, dann versperrten Schutt und mannshohe, abgerissene �ste und umgeknickte B�ume den Weg. Wir suchten und fanden die Nachbarn zum Gl�ck unversehrt, zu anderen mu�ten sich die Sanit�ter mit einer Trage m�hsam durchschlagen.

Irgend jemand brachte Getr�nke und Decken, jeder hatte ein neues Ger�cht �ber Verletzte oder das Ausma� der Zerst�rung beizutragen. In den fr�hen Morgenstunden wickelten wir uns schlie�lich in die Decken, setzten uns auf die Schwelle des Hauses und starrten schweigend in das Chaos, in das sich ganz allm�hlich die ersten Sonnenstrahlen schlichen.

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Oops, we're not in Kansas anymore 2003-05-05 23:58 Die Tornado-Saison 2003 ist sp�testens jetzt offiziell eingel�utet, zumindest nimmt man seit heute auch in Deutschland wieder einmal Kenntnis von diesem "Naturph�nomen". Einige dieser Windhosen sind �ber Kansas und Missouri gezogen, haben ganze Ortschaften irgendwo auf dem platten Land in ihre Holzlatten-Einzelteile zerlegt, den Flughafen von Kansas City vor�bergehend lahmgelegt und leider auch den �rtlichen Bestattungsunternehmen Arbeit verschafft.

Ich pers�nlich halte es f�r nicht ganz so erstaunlich, da� die Natur etwas wie diese Twister hervorbringen kann. Das eigentliche Ph�nomen liegt vielmehr darin, da� trotz der allj�hrlich wiederkehrenden Fr�hsommerst�rme immer noch Menschen in klapprigen Holzh�usern ohne Kellerr�ume im Mittleren Westen leben.

Kein Fleckchen Erde auf dieser Welt wird von mehr Tornados heimgesucht als Kansas. Und trotzdem wohnen dort fast alle, v�llig unabh�ngig vom jeweiligen Kontostand, in schlecht isolierten Holzh�usern, in denen es im Sommer viel zu hei� ist, im Winter viel zu kalt, und die regelm��ig im Fr�hjahr umgepustet zu werden drohen. Sollte das Katastrophenszenario tats�chlich einmal wahr werden, baut man das Haus halt in derselben Bauweise an derselben Stelle wieder auf.

Vermutlich mu� man dort geboren werden, um diese Form der Schicksalsergebenheit zu verstehen in einer Zeit, in der Menschen lieber Isolierklebeband und Gasmasken f�r den Fall eines terroristischen Giftgasangriffs kaufen als ihr Haus zuverl�ssig gegen allj�hrliche St�rme zu sichern. Ich zumindest habe mir nach einem Jahr als Austausch-Sch�lerin in Kansas geschworen, meinen Lebensabend lieber in Wanne-Eickel zu verbringen als noch mal l�ngere Zeit in Kansas zu leben.

Und das sicherlich nicht nur, weil man dort endlose Maisfelder f�r Landschaftsgestaltung und Coke f�r ein angemessenes Verh�tungsmittel h�lt. Auch nicht etwa nur, weil Oralsex immer noch gesetzlich untersagt ist, die Evolutionstheorie vom Lehrplan gestrichen und durch die biblische Sch�pfungslehre ersetzt wurde und auf einen normalen Menschen drei religi�se Hardliner kommen, die zudem besser bewaffnet sind als ein durchschnittlicher angolanischer Rebell.

Nein, all das w�re zu ertragen, die Tornado-Saison hingegen ist es nicht. Wir hatten w�hrend der Hauptmonate April bis Juni etwa zwei bis drei Tornado-Warnungen pro Woche. Dieser Fall tritt meist am sp�ten Nachmittag oder fr�hen Abend ein, was mit den unterschiedlich erw�rmten Luftmassen zu tun hat (fragt Herrn Kachelmann nach den Details). Pl�tzlich gehen �berall Sirenen los, die �blichen TV-Sendungen werden f�r Warnungen mit bunten Satellitenbildern unterbrochen, Sportveranstaltungen werden sofort unterbrochen und alle Besucher m�ssen in spezielle Schutzbunker gehen.

Ahnungslose aus dem fernen Deutschland f�hlen sich sofort an Omas Erz�hlungen vom Krieg erinnert, aber die Einheimischen sind l�ngst daran gew�hnt. Bei meiner Gastfamilie war der Keller mit einem zweiten Fernseher, Telefon, Wasser- und Nahrungsmittelvorr�ten sowie ausreichend Feldbetten ausgestattet. Da die Sirenen meist beim Abendessen losgingen, hatten wir l�ngst gelernt, den gedeckten Tisch f�r eine Gro�familie innerhalb von weniger als einer Minute in den Keller zu verlegen und dort in Ruhe weiterzuessen.

Gegen Ende der Tornado-Saison regte auch mich das alles kaum noch auf, und ich bef�rchtete auch nicht l�nger, irgendwann den Alarm zu �berh�ren und im Schlaf nach Oz geweht zu werden. Schlie�lich h�rte man st�ndig Warnungen, aber die Wirbelst�rme richteten immer weit weg ihr Unheil an. Zumindest bis zu einem besonders hei�en Tag Ende Juni.

Ausgerechnet da war ich aber nicht bei meiner Gastfamilie, sondern zu Besuch bei einer Schulfreundin, deren kleines Holzhaus nat�rlich nicht unterkellert war. In der gesamten Stra�e gab es nicht ein einziges Haus mit Keller und auch keine Schutzr�ume in vern�nftiger Entfernung. Also sa� man im Schlafzimmer vor dem Fernseher, um bei Bedarf in einen der zwei Wandschr�nke fl�chten zu k�nnen.

Der Fall trat erschreckend schnell ein, und so versteckte sich die Mutter des Hauses mit der j�ngeren Tochter in einem Schrank, w�hrend ich mit der Freundin im gegen�berliegenden Schrank klemmte. Wir hatten ausgerechnet den Schrank mit der eingemotteten Winterkleidung erwischt, in dem es nach dem Muff von drei Generationen roch und so eng war, da� wir nur dicht aneinandergepre�t stehen konnten.

Die T�r lie�en wir einen Spalt ge�ffnet, um unsere Erstickungs�ngste zu bek�mpfen, denn die abgestandene hei�e Zimmerluft war immer noch besser als der Schrankmuff. Au�erdem konnten wir so die Kommunikation von Schrank zu Schrank aufrecht erhalten und uns gegenseitig mit schlechten Witzen �ber unsere alberne Lage beruhigen.

Bis wir pl�tzlich einen lauten Knall h�rten und uns in der n�chsten Sekunde in einem wilden Chaos wiederfanden. Zum Gl�ck hatte nur ein Ausl�ufer des Wirbelsturms die Stra�e erwischt, aber das konnten wir noch nicht wissen. Schon der Ausl�ufer reichte n�mlich aus, um das Dach abzudecken, die T�ren rauszurei�en und alle Fenster zu sprengen, so da� zersplittertes Glas, M�belst�cke und diverse Teile der Hauswand wie in einem Windkanal durch das kleine Schlafzimmer gewirbelt wurden.

Der L�rm war �berw�ltigend, und ich dachte in dem Moment wirklich, wir w�rden alle in diesen j�mmerlichen Wandschr�nken sterben und in Einzelteile zerlegt mit der Skimode des letzten Winters auf irgendein Maisfeld geweht werden. Ich glaube, wir haben alle geheult, geschrieen, uns aneinander geklammert und Sto�gebete gen Himmel geschickt. Und es war tats�chlich so, wie man es sonst immer lesen konnte: Die Zeit dehnte sich unendlich. Was vermutlich nur wenige Sekunden anhielt, kam mir wie eine Ewigkeit vor - eine Ewigkeit angef�llt mit Panik und Verzweiflung.

Aber genauso pl�tzlich war der L�rm auch wieder vorbei. Es herrschte einen Moment Ruhe, dann setzten in der Ferne die Sirenen der Krankenwagen ein, und es begann zu regnen. Wir �ffneten irgendwann vorsichtig wieder die T�ren der Schr�nke ein kleines St�ck, begannen gleichzeitig zu reden und zu heulen, schoben mit den F��en M�ll beiseite und kletterten m�hsam aus unseren engen Gef�ngnissen.

Den Rest der Nacht haben wir auf der Stra�e verbracht, die nicht mehr die geringste �hnlichkeit mit dem hatte, was wir kannten. �berall kaputte H�user, manche ganz zerst�rt, manche nur abgedeckt. Die Krankenwagen kamen nur bis in die N�he unserer Gegend, dann versperrten Schutt und mannshohe, abgerissene �ste und umgeknickte B�ume den Weg. Wir suchten und fanden die Nachbarn zum Gl�ck unversehrt, zu anderen mu�ten sich die Sanit�ter mit einer Trage m�hsam durchschlagen.

Irgend jemand brachte Getr�nke und Decken, jeder hatte ein neues Ger�cht �ber Verletzte oder das Ausma� der Zerst�rung beizutragen. In den fr�hen Morgenstunden wickelten wir uns schlie�lich in die Decken, setzten uns auf die Schwelle des Hauses und starrten schweigend in das Chaos, in das sich ganz allm�hlich die ersten Sonnenstrahlen schlichen.