2003-05-06 - 23:49 - Don't let Satan win

Ich mu�te noch mal �ber den gestrigen Eintrag und meine Tornado-Begegnung nachdenken. Schlie�lich glaubt man immer, da� solche Erlebnisse irgendwie wichtige Spuren hinterlassen und die Bezeichnung "einschneidend" verdienen m��ten. R�ckblickend stellt man dann jedoch fest, da� die Erinnerung an Angst und Schrecken erstaunlich schnell verblassen.

Langfristig viel gravierender gepr�gt haben mich ganz andere Erlebnisse aus diesem Austausch-Jahr. Kleine, auf den ersten Blick nicht sonderlich bedeutsame Begebenheiten, die sich so viel sp�ter nur schwer und erst recht nicht in schillernden Bildern erz�hlen lassen. Die aus dem Kontext gerissen im Nachhinein geradezu absurd wirken.

Warum habe ich mich damals blo� so verletzen lassen? Warum habe ich mir selbst so viel zugemutet und nicht viel fr�her einen Schlu�strich gezogen? Ach ja, ich war 16, fern der Heimat, ohne die n�tige Distanz zu mir selbst und zum Tagesgeschehen und - ja, einfach sehr jung. (Das hat mir soeben passenderweise auch ein wirklich sch�nes Telefonat mit einer Mitschreiberin aus dieser illustren Runde wieder verdeutlicht, die teilweise sehr �hnliche Erfahrungen gemacht hat.)

Schlimm genug, da� mich meine erste Gastfamilie, die eigentlich statt einer Austausch-Sch�lerin lieber eine Putzfrau-Babysitterin-K�chin gehabt h�tte und ohnehin nur per Aufgabenzettel mit mir verkehrte, knapp eine Woche vor Weihnachten fristlos vor die T�r gesetzt hatte. Man wollte das Fest der Liebe dann doch nur im trauten Kreis der engsten Familie feiern.

Aber auch diese Krise lie� sich irgendwie kurzfristig beheben und wegstecken, schlie�lich konnte es kaum schlimmer werden. Meine neue Gastfamilie bot wesentlich mehr W�rme und war - zumindest von au�en betrachtet - der Wunschtraum eines jeden Gastkindes. Drei etwa gleichaltrige Geschwister, ein gro�es Haus, ein riesiger Garten mit Teich, angrenzendem Wald und B�ffel als Haustier.

Die Perfektion zeigte schnell Risse. Das streng nach den Regeln der baptistischen Kirche ausgerichtete Leben (ich ging sogar auf eine baptistische Privatschule, deren Direktor und Oberhirte mein Gastvater war) bekam mir anti-autorit�r erzogenem Kind der 70er auf Dauer nicht sonderlich gut. Zu rigide die Verhaltensregeln, zu massiv der st�ndig eingetrichterte Schuldkomplex und zu gro� der Unterschied zwischen dem Leben in der baptistischen Enklave und der "normalen" Au�enwelt, die ich bislang kannte.

Ich verstie� st�ndig unbewu�t gegen die eine oder andere ungeschriebene Regel, trat Leuten auf die F��e ohne es zu merken, lernte viele "Geheimcodes" der Kommunikation erst zu sp�t, hatte nicht einen einzigen Ansprechpartner vor Ort, dem ich mich wirklich anvertrauen konnte, der nicht selbst aus dem kirchlichen Umfeld stammte und wu�te gegen Ende des Jahres �berhaupt nicht mehr was ich nun denken und f�hlen sollte.

Jahre sp�ter hab ich mich oft gefragt, ob der unterschwellige Druck in dem Haus wirklich so gro� war, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Ob die versuchte Gehirnw�sche so allgegenw�rtig war, wie es mir damals schien. Zum Gl�ck habe ich dann vor einiger Zeit einen Stapel kleiner Briefe wiedergefunden, die mir meine Gastschwester damals aufs Bett zu legen pflegte, und deren Existenz ich v�llig vergessen hatte.

Ein kurzer Ausschnitt aus einem Brief, den mir besagte Gastschwester nach einem Streit geschrieben hatte, zeigte mir dann deutlich, da� die allt�glichen Ausw�chse religi�sen Hardlinertums noch absurder waren, als ich sie in Erinnerung hatte. Nicht ich war verr�ckt, sie waren es:

"Dear Sis, I want to apologize for the way that I treat you sometimes. ... I hope that you can forgive me for my jealous, rude and extremely distasteful, ungodly behaviour. Please have patience with me as the Lord will teach me how to love you more and more each day, no matter how you behave and how little lovable you actually are (I hope, no, I'm sure I would behave so much better if I were a guest in a foreign country).

I should have confessed these emotions to you and the Lord a lot sooner but Satan caused it to build up inside me. Now, I don't want him to have the victory so I have asked the Lord's forgiveness and now I ask for yours. Love, Your Sister."

Ja, ich bin ein schlechter Mensch, den man unm�glich lieben kann. Aber das w�re falsch und Satan der b�se Sieger. Also mu� man mit Gottes Hilfe lernen, auch nichtsnutze Austausch-Schmarotzer aus dem fernen Deutschland zu lieben, die eigentlich nur ein l�stiger St�rfaktor im Familienalltag sind Geht aber alles. Sweet Jesus.

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Don't let Satan win 2003-05-06 23:49 Ich mu�te noch mal �ber den gestrigen Eintrag und meine Tornado-Begegnung nachdenken. Schlie�lich glaubt man immer, da� solche Erlebnisse irgendwie wichtige Spuren hinterlassen und die Bezeichnung "einschneidend" verdienen m��ten. R�ckblickend stellt man dann jedoch fest, da� die Erinnerung an Angst und Schrecken erstaunlich schnell verblassen.

Langfristig viel gravierender gepr�gt haben mich ganz andere Erlebnisse aus diesem Austausch-Jahr. Kleine, auf den ersten Blick nicht sonderlich bedeutsame Begebenheiten, die sich so viel sp�ter nur schwer und erst recht nicht in schillernden Bildern erz�hlen lassen. Die aus dem Kontext gerissen im Nachhinein geradezu absurd wirken.

Warum habe ich mich damals blo� so verletzen lassen? Warum habe ich mir selbst so viel zugemutet und nicht viel fr�her einen Schlu�strich gezogen? Ach ja, ich war 16, fern der Heimat, ohne die n�tige Distanz zu mir selbst und zum Tagesgeschehen und - ja, einfach sehr jung. (Das hat mir soeben passenderweise auch ein wirklich sch�nes Telefonat mit einer Mitschreiberin aus dieser illustren Runde wieder verdeutlicht, die teilweise sehr �hnliche Erfahrungen gemacht hat.)

Schlimm genug, da� mich meine erste Gastfamilie, die eigentlich statt einer Austausch-Sch�lerin lieber eine Putzfrau-Babysitterin-K�chin gehabt h�tte und ohnehin nur per Aufgabenzettel mit mir verkehrte, knapp eine Woche vor Weihnachten fristlos vor die T�r gesetzt hatte. Man wollte das Fest der Liebe dann doch nur im trauten Kreis der engsten Familie feiern.

Aber auch diese Krise lie� sich irgendwie kurzfristig beheben und wegstecken, schlie�lich konnte es kaum schlimmer werden. Meine neue Gastfamilie bot wesentlich mehr W�rme und war - zumindest von au�en betrachtet - der Wunschtraum eines jeden Gastkindes. Drei etwa gleichaltrige Geschwister, ein gro�es Haus, ein riesiger Garten mit Teich, angrenzendem Wald und B�ffel als Haustier.

Die Perfektion zeigte schnell Risse. Das streng nach den Regeln der baptistischen Kirche ausgerichtete Leben (ich ging sogar auf eine baptistische Privatschule, deren Direktor und Oberhirte mein Gastvater war) bekam mir anti-autorit�r erzogenem Kind der 70er auf Dauer nicht sonderlich gut. Zu rigide die Verhaltensregeln, zu massiv der st�ndig eingetrichterte Schuldkomplex und zu gro� der Unterschied zwischen dem Leben in der baptistischen Enklave und der "normalen" Au�enwelt, die ich bislang kannte.

Ich verstie� st�ndig unbewu�t gegen die eine oder andere ungeschriebene Regel, trat Leuten auf die F��e ohne es zu merken, lernte viele "Geheimcodes" der Kommunikation erst zu sp�t, hatte nicht einen einzigen Ansprechpartner vor Ort, dem ich mich wirklich anvertrauen konnte, der nicht selbst aus dem kirchlichen Umfeld stammte und wu�te gegen Ende des Jahres �berhaupt nicht mehr was ich nun denken und f�hlen sollte.

Jahre sp�ter hab ich mich oft gefragt, ob der unterschwellige Druck in dem Haus wirklich so gro� war, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Ob die versuchte Gehirnw�sche so allgegenw�rtig war, wie es mir damals schien. Zum Gl�ck habe ich dann vor einiger Zeit einen Stapel kleiner Briefe wiedergefunden, die mir meine Gastschwester damals aufs Bett zu legen pflegte, und deren Existenz ich v�llig vergessen hatte.

Ein kurzer Ausschnitt aus einem Brief, den mir besagte Gastschwester nach einem Streit geschrieben hatte, zeigte mir dann deutlich, da� die allt�glichen Ausw�chse religi�sen Hardlinertums noch absurder waren, als ich sie in Erinnerung hatte. Nicht ich war verr�ckt, sie waren es:

"Dear Sis, I want to apologize for the way that I treat you sometimes. ... I hope that you can forgive me for my jealous, rude and extremely distasteful, ungodly behaviour. Please have patience with me as the Lord will teach me how to love you more and more each day, no matter how you behave and how little lovable you actually are (I hope, no, I'm sure I would behave so much better if I were a guest in a foreign country).

I should have confessed these emotions to you and the Lord a lot sooner but Satan caused it to build up inside me. Now, I don't want him to have the victory so I have asked the Lord's forgiveness and now I ask for yours. Love, Your Sister."

Ja, ich bin ein schlechter Mensch, den man unm�glich lieben kann. Aber das w�re falsch und Satan der b�se Sieger. Also mu� man mit Gottes Hilfe lernen, auch nichtsnutze Austausch-Schmarotzer aus dem fernen Deutschland zu lieben, die eigentlich nur ein l�stiger St�rfaktor im Familienalltag sind Geht aber alles. Sweet Jesus.

Stephan - 2004-05-04 17:22:49
Wenn ich die Gedanken lese, kann ich mich erstaunlich gut in die Situationen hineinversetzen! Es ist sehr angenehm und sehr interessant, zu lesen und zu lesen und.... eines Buches w�rdig (Schreibstil) Stephan
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Wenn ich die Gedanken lese, kann ich mich erstaunlich gut in die Situationen hineinversetzen! Es ist sehr angenehm und sehr interessant, zu lesen und zu lesen und.... eines Buches w�rdig (Schreibstil) Stephan